Meine Portugiesischlehrerin an der Uni hatte mir vor ein paar Jahren dieses Foto der Stadt São Paulo in Brasilien gezeigt. Links eine Armensiedlung, auf Portugiesisch „Favela“, und rechts einen hochmodernen und luxuriösen Wohnkomplex.
Zwei Lebenswelten, die unterschiedlicher nicht sein könnten direkt nebeneinander.
Die grausame Ironie des Bildes schockierte mich damals sehr und als ich für längere Zeit von Berlin nach Brasilien zog, wurde mir mit jedem Tag deutlicher, wie viel Wahrheit es zeigt. Um etwas Geld zu verdienen gab ich Privatunterricht für Kinder aus Wohnkomplexen wie dem rechts auf dem Bild, engagierte mich aber gleichzeitig ehrenamtlich für ärmere Kinder aus Favelas wie links zu sehen. Es bewegte mich sehr zu sehen, wie vor allem junge Mädchen bereits im Kindesalter in den Favelas anfangen müssen zu arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen. Währenddessen konnten sich Töchter wohlhabender Familien voll und ganz auf den Schulunterricht konzentrieren.
Die Coronakrise trifft Brasilien derzeit hart und wo lässt es sich besser eine tödliche Pandemie überleben: links ohne fließend Wasser, genügend Lebensmittel und medizinische Versorgung oder … naja … rechts im Privatpool?
Ungleichheit ist leider nicht nur Realität in Brasilien, sondern auch bei uns in Deutschland. Insbesondere unterschiedliche Bildungschancen tragen zu einer großen Spaltung bei. Wenn ein Kind während der Coronakrise keinen Drucker für die Schulmaterialien zuhause hat oder eine unstetige Internetverbindung, wird es schlechtere Chancen haben, als ein Kind, dessen Familie sogar privaten Online-Nachhilfeunterricht finanzieren kann.
Der Begriff „Soziale Ungleichheit“ geistert durch die Medien – auch im Zusammenhang mit Corona. Doch was genau ist soziale Ungleichheit?
Sozial beschreibt das Miteinander, die Gesellschaft, in der wir leben. Wenn diese Gesellschaft aus dem Gleichgewicht gerät und unfair wird, entsteht soziale Ungleichheit.
Stellen wir uns eine Wippe vor: Der Person auf der rechten Seite stehen alle Möglichkeiten offen. Sie wächst in einer wohlhabenden Familie auf, erhält eine gute Schulbildung, besucht die Universität und findet ohne große Anstrengung einen gut bezahlten Job. Auf der linken Seite sieht es ganz anders aus. Hier sind Personen, deren Familien weniger Geld haben, in der Schule keine Unterstützung durch ihre Eltern erhalten und es schwerer haben, Arbeit zu finden.
Die Umstände, welche die Lebensrealitäten der Personen von rechts und links bestimmen, sagen dabei nichts über die Talente und Charaktereigenschaften aus. In Brasilien lernte ich ähnlich hochbegabte Mädchen mit großen Talenten sowohl in den Favelas als auch in den Luxuswohnungen kennen. Trotzdem ist es wahrscheinlicher, dass trotz gleicher Fähigkeiten die Mädchen der wohlhabenden Familien studieren werden, die große Masse in den Favelas jedoch nicht einmal einen Schulabschluss erlangen wird.
Bei sozialer Ungleichheit geht es auch um die Kluft zwischen einer großen armen Masse und wenigen sehr, sehr reichen Menschen: Obwohl sich mehrere Personen auf der linken Seite befinden, sind sie trotzdem nicht so schwer wie die rechte Seite. Die Person auf der rechten Seite der Wippe hat große Macht über die Personen, die in der Luft schweben und weniger Gewicht haben.
Um dies zu ändern, ist nicht nur ein Umdenken in der internationalen Politik gefragt. Auch wir können durch Engagement in einem Verein wie Wir Gestalten e.V. oder die Entscheidung für fair gehandelte Produkte einen kleinen Teil zu einer gleicheren Welt beitragen. Und wenn wir uns auf der rechten Seite der Wippe befinden, einfach mal einen Schritt auf die andere Seite zugehen und für mehr Ausgleich sorgen – insbesondere in Krisenzeiten, in denen wir weiter denn je voneinander entfernt zu sein scheinen.